top of page

Er kam mit dem Zug und blieb sitzen - Eine Weisheitsgeschichte

  • Kyra Brandenburg
  • 10. Okt.
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Nov.


Alter Indianer, der auf einer Holzbank sitzend am Bahnhof wartet

Es gibt Reisen, die wir mit den Füßen gehen – sowie andere, die unsere Seele erst nach und nach vollendet. In unserer schnellen Zeit erreichen wir unsere Ziele oft im Nu – mit dem Zug, dem Auto oder dem Flugzeug. Doch während der Körper längst angekommen ist, braucht die Seele manchmal doch noch ein Stück des Weges.


Diese alte indianische Weisheitsgeschichte erzählt von der Kunst, zu warten, bis alles in uns am Ziel ist. Sie erinnert uns daran, dass wahres Ankommen mehr bedeutet als nur das Ende einer Fahrt.


Lies selbst:


In einem abgelegenen Dorf lebte ein weiser alter Indianer, der es gewohnt war, die weite Strecke zur nächsten Stadt zu Fuß zurückzulegen. Er kannte jeden Baum, jeden Fluss und jede Erhebung entlang des Weges. Der Marsch dauerte oft mehrere Tage, doch er genoss die Reise, denn sie war für ihn nicht nur ein Weg von einem Ort zum anderen, sondern eine Verbindung zwischen seinem Körper, seinem Geist und seiner Seele.


Eines Tages wurde eine Eisenbahnlinie gebaut, die direkt an seinem Dorf vorbeiführte. Die jungen Leute waren begeistert, denn nun konnten sie die Stadt in nur wenigen Stunden erreichen. Auch der alte Indianer wurde von den Dorfbewohnern überredet, es einmal auszuprobieren.


Er stieg in den Zug, und in rasanter Geschwindigkeit flog die vertraute Landschaft an ihm vorbei. Kein Innehalten am Fluss, kein Gruß an die alten Bäume, kein langsames Aufsteigen der Sonne über den Hügeln – nur das Rattern der Räder und das gleichmäßige Pfeifen der Lokomotive.


Als der Zug schließlich in der Stadt hielt, stiegen alle eilig aus und verschwanden in den belebten Straßen. Doch der alte Indianer ging nur einige Schritte vom Bahnsteig fort, setzte sich dann auf eine Bank und blieb still dort sitzen.


Ein Passant, der ihn beobachtet hatte, fragte neugierig:

„Warum sitzen Sie hier so still? Ist etwas nicht in Ordnung?“


Der Indianer schaute ihn ruhig an und antwortete mit einem sanften Lächeln:

„Mein Körper ist angekommen, aber meine Seele ist noch unterwegs. Sie reist in meinem alten Tempo. Also warte ich hier, bis sie mich eingeholt hat.“

Indianische Weisheitsgeschichte



Diese Geschichte erinnert uns daran, wieder langsamer zu werden – nicht nur auf unseren Wegen, sondern auch im Inneren. Sie zeigt uns, dass jedes Ziel erst dann wirklich erreicht ist, wenn auch unsere Seele angekommen ist.


Wenn du das nächste Mal reist – ob nah oder fern –, spüre einen Moment in dich hinein:

Bist du schon ganz da, wo du bist? Oder wartet ein Teil von dir noch darauf, nachzukommen?





Kommentare


bottom of page